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Darf ich resignieren?

Es ist deprimierend, den Müll im Meer und die darin elendig verendeten Lebewesen zu sehen. Es ist deprimierend unvorstellbar lange Zeit hatten zu wachsen und sich zu entwickeln, innerhalb kürzester Zeit zerstört werden und unwiderruflich verschwinden. Von Matthias Hüttmann

„Wir waren wie die Landschaft, im Rückzug. Wir hatten unserem Verschwinden nichts entgegenzusetzen, rieben uns aber auf im engen Horizont einer Arbeit, die ein Unternehmen stärken, erfolgreicher, effektiver machen sollte, aber nicht Lebensfragen beantworten, das Überleben sichern helfen würde. Kaum blickten wir in die Vergangenheit, sahen wir nichts als Fortschritt. Kaum blickten wir in die Zukunft, nichts als Niedergang. Wir waren jene, die wussten, aber nicht verstanden, die begriffen, aber sich nicht vergegenwärtigen konnten, voller Informationen, aber ohne Erkenntnis, randvoll mit Wissen, aber mager an Erfahrung. So gingen wir, nicht aufgehalten von uns selbst.“ (Willemsen, Wer wir waren).

© Richard Mährlein

Diese Worte stammen aus dem Nachlass von Willemsen, bestimmt für ein Buch, dass  er nicht mehr geschrieben hat. Darin wollte  er unsere Gegenwart aus der Zukunftsperspektive  betrachten. Gelegentlich haben viele gewiss ähnliche Gedanken. Die Frage nach dem eigenen Abdruck, der hinterlassen sein wird, führt oft zur Erkenntnis, dass vieles versäumt wurde und so manches Tun negative Auswirkungen haben wird. Die eigene Existenz führt zu Nachwehen, die einen selbst vermeintlich nicht mehr betreffen werden. Es sind Blicke des einzelnen Individuums auf das Ganze. Die Entwicklung der Menschheit selbst zeigt, dass vieles unterlassen wurde, trotz besseren Wissens, viele Fehler immer wieder begangen wurden, trotz all unserer Erfahrung. Die Schwarmintelligenz mutierte oftmals zur marktkonformen Schwarmdummheit.

Mittendrin
Für die Generation der großen Beschleunigung1) ist alles greifbar, das Fazit des letzten Weltklimaberichts klar und unmissverständlich: Auch wenn es gelingen sollte, absehbar, z.B. bis 2050, global eine Klimaneutralität zu erreichen, ist vieles nicht mehr aufzuhalten, vieles bereits unwiederbringlich angestoßen. Alles was wir heute schon deutlich spüren, spielt jedoch in einer anderen Katastrophenliga als das was noch kommen wird. Es wird zu einer Welt kommen, von der niemand genau sagen kann, wie sie aussehen wird. Nur eines ist klar: Wir werden es sehr schwer haben, uns an eine solche Lebenswelt anzupassen. Wenn überhaupt, wird das sicher nur einer privilegierten Gruppe vorbehalten sein. Was das für ein friedliches Zusammenleben der Menschen bedeutet, ist schwer vorstellbar. Dystopien scheinen immer mehr zur Realität zu werden. Die gerne als schwarzmalerisch gebrandmarkten Prognosen der Wissenschaft, sie waren zu optimistisch. Mittlerweile treten Ereignisse ein, von denen wir glaubten, dass sie, wenn überhaupt, erst in vielen Jahren hätten passieren können. Selbstverstärkende Effekte und Wechselwirkungen sind ganz offensichtlich größer als angenommen.

Rückwärtsgewandt
Auch wenn das alles präsent und nicht wegzureden ist, finden Debatten hier und dort fernab unserer Wirklichkeit statt. Es ist müßig zu spekulieren, ob uns ein Krieg vor unserer Haustür hilft, das jahrzehntelange Treten auf der Stelle zu erkennen, oder ob es eher zu einem Roll-Back auf vielen Ebenen kommen wird. Denn wir sind längst in einem Panikmodus angelangt, der wenig hilfreich ist. Und fast alle jetzt ausgepackten pragmatischen Lösungen kommen aus der Vergangenheit. Unsere Werkzeugkiste scheint immer die gleiche zu sein. In Zeitnot geraten, versuchen wir Zeit zu gewinnen in dem wir entwicklungstechnisch die Zeit zurückdrehen. Alles, was wir glaubten überwinden zu können oder überwunden zu haben glaubten, taucht wieder auf. Selbst in dieser Lage ist es immer nur der bequemere Weg, der gegangen wird, kaum etwas wird grundlegend hinterfragt. Viele der ausgerufenen Notfallprogramme sind ohnehin nur finanzieller Natur. Dass mit diesen (Geld)Scheinmaßnahmen real nichts erreicht wird, ist den handelnden Personen freilich bewusst.

Niedergeschlagen
Es ist deprimierend, den Müll im Meer und die darin elendig verendeten Lebewesen zu sehen. Es ist deprimierend, wenn Ökosysteme, die gemessen an unserem Horizont, unvorstellbar lange Zeit hatten zu wachsen und sich zu entwickeln, innerhalb kürzester Zeit zerstört werden und unwiderruflich verschwinden. Ob Korallenriffe, Regenwälder, Tundragebiete und vieles mehr, alles verschwindet dank uns. Diesem Elend zusehen, ist kaum zu ertragen.

Auch wenn möglicherweise aussichtslos, liegt der einzig gangbare Weg, auch für die eigene Psyche, um alldem entgegenzutreten darin, sich für den Erhalt von möglichst vielem noch Bestehenden tatkräftig einzusetzen. Es ist immer besser, die oft angeführten Apfelbäume zu pflanzen, viel besser als den heute noch lebenden Bäumen beim Sterben zuzusehen. Auch gibt es einfach mehr als genug schöne erhaltenswerte Dinge, an denen wir uns erfreuen können und sollten. Natürlich dürfen wir uns keine Hoffnung aus den Fingern saugen, wenn wir keine haben.

Auch wenn der anthropozentrische Ansatz eigentlich deutlicher hinterfragt werden muss, wir uns eben nicht überall einmischen sollten und Leben, dass wir nach unserem Gusto bevorzugen, glauben retten zu müssen. Es ist andererseits gleichwohl unsere Pflicht, den von uns angerichteten Schaden zu minimieren.

Und auch, wenn es genau unser Verschulden ist, dass wir womöglich die Welt nicht mehr retten können und nicht mehr aufholen können, was wir zu tun versäumt haben, ist Aufgeben keine Option. Masochistisch in die Katastrophe zu blicken ist keine gute Wahl. Denn es gibt keinen konkreten Punkt, an dem wir unweigerlich in die Katastrophe schlittern, der Übergang ist fließend.

Es kann dabei durchaus hilfreich sein, zu überlegen, was in einem möglichen Nachruf auf einen selbst stehen könnte. Harald Welzer hat sich genau diese Gedanken gemacht. Für alle, die resignieren, kann ein Nachdenken darüber, wie sie gelebt haben wollen, als Individuum und auch als Gesellschaft, hilfreich sein. Dann wissen wir vielleicht, wer oder was wir nicht gewesen sein sollten.

1) The trajectory of the Anthropocene: The Great Acceleration (Steffen, Broadgate, Deutsch, Gaffney, Ludwig)

Quelle

Der Kommentar wurde von der Deutsche Gesellschaft für Sonnenenergie e.V. (Mattias Hüttmann) 2022 verfasst – der Artikel darf nicht ohne Genehmigung von Matthias Hüttmann weiterverbreitet werden! | SONNENENERGIE 03/2022 

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