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„Wo Politik wirklich will, geht vieles“

Journalist Franz Alt: „Energiekrise muss Treiber für Klimaschutz sein“ / epd-Gespräch: Alexander Nortrup

Chris Alt | Franz Alt
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Der Autor und Journalist Franz Alt wirft der Bundesregierung vor, nur halbherzige Schlüsse aus der aktuellen Energiekrise zu ziehen. Dabei könnte etwa der Ausbau regenerativer Energien nach Ansicht des 84-Jährigen bereits viel weiter sein. Im Gespräch mit dem Evangelischen Pressedienst (epd) betont Franz Alt, dass gerade die Kirchen beim Klimaschutz klarer vorangehen müssten, um ihrer Vorbildfunktion zu entsprechen.

epd: Herr Alt, müssen Sie sich aktuell manchmal schütteln, wie radikal Ihre Lebensthemen Frieden und Erneuerbare Energie gerade die Agenda bestimmen?

Franz Alt: Auf jeden Fall. Wir sind seit dem Beginn des Ukraine-Kriegs von einem Atomkrieg bedroht. Michail Gorbatschow sagte mir, ein Atomkrieg sei wohl der letzte Krieg, den die Menschheit erleben wird. Die andere Gefahr ist der Treibhauseffekt. Letzte Woche ist eine Studie erschienen, die zeigt: Wir erreichen immer neue Rekorde bei den Treibhausgas-Emissionen. Wenn wir so weitermachen, ist bald Schluss mit dem Leben auf dieser Erde – das sagt nicht Franz Alt, das sagen tausende Wissenschaftler weltweit.

epd: Sie haben den Klimawandel immer wieder als Überlebensfrage bezeichnet. Nun spielt er scheinbar nur noch eine untergeordnete Rolle angesichts der Suche nach bezahlbarer und verfügbarer Energie. Wie lange, denken Sie, können wir den Klimawandel derart ausblenden?

Alt: Das kann und wird nicht lange gut gehen. Energiesicherheit müsste ja zudem bedeuten: Energie, die keine Gefahren birgt. Jedes Atomkraftwerk ist aber ein Sicherheitsproblem mit einem atomaren Restrisiko. Das wird trotz Tschernobyl und Fukushima gerade wieder komplett verdrängt – genau wie die eigentlichen Probleme der gesamten Menschheit.

epd: Wie gern wären Sie jetzt Koordinator für Energiefragen im Kanzleramt oder im Wirtschaftsministerium von Robert Habeck?

Alt: Ich kann mir einen schöneren Job vorstellen. Bücher darüber zu schreiben ist viel angenehmer als Probleme wirklich zu lösen, das gebe ich gern zu. Ich habe in meinem Leben die Angebote von vier politischen Parteien ausgeschlagen, für sie in den Bundestag einzuziehen. Mir war es wichtiger, als Journalist über Fragen aufzuklären als an Lösungen zu arbeiten – und ich weiß, dass Letzteres weitaus schwieriger ist.

epd: Der Bundesverband Erneuerbare Energien hat gerade ein Papier mit Vorschlägen für eine schnellere Zukunft ohne fossile Energieträger vorgestellt: weniger Vorschriften, kürzere Genehmigungsverfahren. Die Bundesregierung hat viele dieser Punkte auch auf der Agenda – da scheint doch die Richtung zu stimmen?

Alt: Das ist mir alles noch zu kurzfristig gedacht. Wir haben in den letzten bald 40 Jahren immer wieder Lösungsvorschläge zum Klimawandel gehört: Schon in den 1990er Jahren habe ich in Fernsehsendungen aufgezeigt, dass wir bis 2035 zu 100 Prozent Erneuerbare Energien nutzen könnten. Im Strombereich haben wir heute immerhin 50 Prozent, könnten aber längst bei 80 Prozent sein. Im Wärmebereich sind es erst 20 Prozent und im Verkehr haben wir komplett versagt – beziehungsweise die CSU- und FDP-Verkehrsminister, die in Wahrheit alle Autominister waren.

Wir hätten vieles besser machen können, die Lösungen sind bekannt. Ich habe in meinen Büchern seit Jahren viele positive Beispiele beschrieben, wo ganze Regionen massenhaft Energie nur aus Wind, Sonne und Wasser produzieren, München hat inzwischen etwa eine Ökostrom-Quote von mehr als 90 Prozent. Wo Politik wirklich will, geht vieles.

epd: Aber der Eindruck ist doch aktuell, dass angesichts des Ukraine-Kriegs alle Tore offen stehen für eine Neuausrichtung von Energie- und Klimapolitik.

Alt: Das Fenster ist immer offen. In Bayern zum Beispiel gibt es eine Regelung, dass das nächste Haus rund 2000 Meter von einem Windrad entfernt sein muss. So hat die CSU den Ausbau der Windenergie bewusst verhindert. Der damalige Ministerpräsident Seehofer sagte mir einmal: „In Bayern weht kein Wind“. In Wahrheit hatte er Angst vor Bürgerinitiativen, und da liegt natürlich auch ein Teil des Problems: Viele Menschen in Deutschland haben viele Bedenken und verhindern lieber als zu ermöglichen.

Dabei schickt der Himmel uns tausendfach mehr Energie als wir brauchen. Ich habe vor 30 Jahren das Buch „Die Sonne schickt uns keine Rechnung“ geschrieben und wurde dafür ausgelacht. Inzwischen steht in meinem Haus ein Batteriespeicher, der mit gespeicherter Solarenergie auch nachts das Elektroauto meiner Frau auflädt. Speichertechnologie ist vorhanden, sie muss nur noch weiter ausgebaut werden. Dennoch ist nur auf jedem zehnten Haus eine Solaranlage installiert. Warum nicht auf viel mehr Häusern? Da ist so viel versäumt worden.

epd: Sie sehen gerade Christen in der Pflicht, sich aktiv für den Klimaschutz einzusetzen. Welche Rolle könnten und sollten Kirchen bei Umweltschutz und Energiewende spielen?

Alt: Es gibt positive Beispiele für kirchliches Handeln: Papst Franziskus hat sich etwa aktiv für das Zustandekommen des Pariser Abkommens zum Klimaschutz eingesetzt. Aber die Umsetzung im Kleinen dauert viel zu lange – und dabei könnten Kirchen einen wesentlichen Beitrag leisten. Sie könnten überall Solaranlagen installieren – gewissermaßen Energie von ganz oben, aus dem Himmel. Kirchen haben immer noch eine Vorbildfunktion, die sollten sie besser ausfüllen. Ich habe schon vor 20 Jahren in meinem Buch „Der ökologische Jesus“ geschrieben, dass Kirchen und kirchliche Einrichtungen auf ihren Dächern Photovoltaik installieren müssten. Immerhin mehr als 2.000 Kirchengemeinden haben das gemacht, das ist ein guter Anfang – aber eben nicht genug. Wenn nachhaltige Technik da ist, aber nicht genutzt wird, ist das ein ethisches Problem – und gerade da müssten Kirchen deutlich aktiver werden.

Quelle

Alexander Nortrup/epd

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